Der Großteil der Gesetze wird von der Europäischen Union erlassen. Das Europaparlament stellt in vielen politischen Feldern eine Unverzichtbarkeit dar.
Am 26. Mai steht ein weiteres Mal die Wahl zum Europaparlament an, und die Wahlbegeisterung unter den Wählern erreicht ein neues Tief. Viele Wähler fragen sich erneut, warum sie sich überhaupt die Mühe machen sollten, ihre Stimme abzugeben. In der Politik wird die Ansicht geteilt, dass mit der bevorstehenden Wahl auch eine Entscheidung für oder gegen Europa anstehe. Der tatsächliche Einfluss des Europaparlaments, der seit der ersten Europawahl im Jahr 1979 stetig zugenommen hat, ist vielen nicht bewusst. Verdeutlicht wird dieser Einfluss sogleich nach der Wahl: Die Aufgabe, den nächsten Kommissionspräsidenten zu wählen, fällt (auf Vorschlag der Staats- und Regierungschefs) dem Parlament zu.
Brüssel und Straßburg stellen heutzutage für den Großteil der für die Bürger relevanten Gesetze den Ursprungsort dar. Der Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1992 bildete den Startpunkt für die Etablierung des Parlaments in zunehmend mehr Feldern als gleichberechtigter Partner in der Gesetzgebung. Darunter fallen der Binnenmarkt, der Umwelt- und Verbraucherschutz, Forschung und Kultur und seit dem Vertrag von Lissabon auch die Agrarpolitik und die Zusammenarbeit in Strafsachen. Haushaltsfragen bilden jedoch die Ausnahme. Während das Parlament bei den Ausgaben noch über ein gewisses Mitspracherecht verfügt, unterliegt die Finanzierung der EU der alleinigen Entscheidungsmacht der Mitgliedstaaten. Obgleich die Abgeordneten in der Handelspolitik neuen Abkommen mit Drittstaaten zuerst zustimmen müssen, verfügen sie auch hier über keinen wirklichen Einfluss.
Zudem bleibt es der Europäische Kommission vorbehalten, Gesetzesvorschläge zu äußern.
Dieses fehlende Initiativrecht führt zu der Vorstellung, dass sich das Europaparlament nicht als „echtes“ Parlament behaupten kann. Nun stellt sich die Frage, wie genau das Europaparlament überhaupt funktioniert. Im Folgenden sollen die wichtigsten Einrichtungen des Parlaments veranschaulicht werden.
Zusammensetzung
Derzeitig umfasst das Parlament 751 Abgeordnete. Darunter fallen der Präsident sowie 750 Sitze, die sich auf acht ungleichartig zusammengesetzte Fraktionen und 21 fraktionslose Abgeordnete aufteilen. Die Zusammenarbeit beruht stärker als in den einzelnen Staaten auf der Kompromissfindung, da für Entscheidungen das Parlament eine absolute Mehrheit erreichen muss. Diese ist unter der momentanen Zahl der Abgeordneten mit 376 Stimmen erreicht. Es fehlt der übliche Gegensatz zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen. Bisher schafften es bereits die zwei größten Fraktionen, die der christdemokratischen EVP und der sozialdemokratischen S&D, eine Mehrheit zu erzielen.
Ausschüsse
Um die Beratungen des Plenums vorzubereiten, verfügt das Parlament über 20 ständige Fachausschüsse, deren Mitglieder zu Anfang und Ende der ersten Hälfte der Wahlperiode nach Parteizugehörigkeit und Fachkompetenz gewählt werden. Eine der bedeutsamsten Aufgabe ist es, die Gesetzesvorschläge der Kommission zu kontrollieren. Für jeden Vorschlag wird von den Ausschüssen ein Berichterstatter bestimmt. Für jedes Vorhaben existiert grundsätzlich ein federführender Ausschuss sowie ein federführender Berichterstatter. Dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung kommt wirtschaftspolitisch die größte Bedeutung zu. In seinen Zuständigkeitsbereich fallen u.a. die Finanzmärkte und die Währungsunion. Von größerer Relevanz sind zudem der Handels-, der Binnenmarkt-, der Industrie-, der Umwelt- und der Verkehrsausschuss sowie der Haushalts- und Haushaltskontrollausschuss. Von großer Relevanz ist auch die Querschnittsfunktion, die der Rechtsausschuss innehat.
Berichterstatter
Innerhalb des Europaparlaments fällt den Berichterstattern eine bedeutende Funktion zu. Sie bringen verschiedene Meinungen im Parlament zusammen und unterstützen die Abgeordneten darin, sich auf Kompromisse zu einigen. Um diesen Aufgaben nachkommen zu können, müssen sich die Berichterstatter vertieft mit der Materie auseinandersetzen. Durch den so entstehenden Wissensvorsprung können die Berichterstatter einen spürbaren Einfluss ausüben. Des Weiteren verfassen sie Berichte, die die Position des EU-Parlaments zu bestimmten Fragen wiedergeben. Über die Berichte stimmt zunächst der Ausschussab, dann das Plenum. Wann welche Fraktion den Berichterstatter bestimmen darf, ist unter anderem von der Größe der Fraktion abhängig. Die anderen im Ausschuss vertretenen Fraktionen ernennen „Schattenberichterstatter“, welche den Prozess begleiten und verhindern sollen, dass die Stellungnahme zu kompromisslos und einseitig ausfällt.
Diäten
Jedem Abgeordneten steht eine monatliche Entschädigung (Diät) in Höhe von 38,5% der Grundbezüge eines Richters am Europäischen Gerichtshof zu. Dieser Betrag, der im jeweiligen Heimatland versteuert werden muss, lässt sich in diesem Jahr auf 9753 Euro im Monat beziffern. Hinzu kommt ein Tagesgeld von 313 Euro pro Sitzungstag, welches die Kosten für Verpflegung und Unterbringung decken soll. Gegen Vorlage der Abrechnungen können auch Reisekosten erstattet werden, soweit sie der An- und Abreise zu Sitzungen dienen. Für ihre Sachausgaben (bspw. für den Betrieb ihres Wahlbüros) wird eine steuerfreie Kostenvergütung in Höhe von 4416 Euro ausgezahlt. Zudem verfügen die Abgeordneten über ein monatliches Budget von maximal 24 562 Euro (zuzüglich Spesen), um Assistenten und deren Ausgaben oder auch Dienstleistungen wie bspw. Gutachten von externen Gutachtern zu bezahlen.
Fraktionen und Gruppen
Aktuell bildet sich das Parlament aus acht Fraktionen: die christdemokratische EVP, die sozial-demokratische S&D, die konservative EKR, die liberale ALDE, die Grünen, die linke GUE sowie die rechtspopulistischen EFDD und ENF. Innerhalb der Fraktionen schließen sich die meisten Vertreter der nationalen Parteien zusammen. So gehören die CDU und die CSU zur EVP, die SPD zur S&D und die FDP zur ALDE. Zudem organisieren sich alle deutschen Parteien in einer eigenen Gruppe, die ebenfalls einen eigenen Vorsitzenden stellt. Im Gegensatz zum Bundestag hat die Fraktionsdisziplin im Europäischen Parlament geringere Signifikanz, unter anderem führt dies dazu, dass sich das Abstimmungsverhalten eher mal nach den nationalen Interessen richtet.
Lesungen
Als Lesungen werden die verschiedenen Stufen im Gesetzgebungsverfahren beschrieben. In der ersten Lesung berät das Parlament über den Gesetzesvorschlag der Kommission und formuliert seinen Standpunkt. Dabei werden unter anderem Änderungsvorschläge beschlossen. In der ersten Lesung billigt der Ministerrat (das Gremium der EU-Staaten) entweder den Standpunkt des Parlaments oder bildet einen eigenen. Sollte er den Standpunkt des Parlaments zustimmen, endet an diesem Punkt das Verfahren und das Gesetz wird erlassen. Andernfalls kommt es zur zweiten Lesung. Das Parlament formuliert erneut Änderungsvorschläge und lässt diese dem Ministerrat zur erneuten Beratung zukommen.
Sollte es weiterhin nicht zu einer Übereinkunft kommen, wird ein Vermittlungsausschuss einberufen. Dieser versucht, ein gemeinsames Ergebnis zu finden. Gelingt dies nicht, scheitert der Gesetzesvorschlag. Sollte der Ausschuss zu einer Einigung kommen, stimmen Parlament und Rat in einer dritten Lesung erneut ab. Beide müssen dem Vorschlag zustimmen, ansonsten ist das Gesetz gescheitert. Die Lesungen finden im realen Leben selten chronologisch statt, sondern verlaufen eher parallel zueinander.
Trilog
Um die sonst jahrelangen Gesetzgebungsverfahren abzukürzen, setzen sich das Parlament, der Ministerrat und die Europäische Kommission mit zunehmender Häufigkeit bereits in der ersten Lesung zu einem informellen Trilog zusammen. In kleiner Runde werden Kompromisse zu Richtlinien- oder Verordnungsvorschlägen diskutiert. Besonders zur Zeit der EU-Finanzkrise konnte sich der Trilog immer größerer Beliebtheit erfreuen. Dass der Trilog das ordentliche Gesetzgebungsverfahren seither in den meisten Fällen ersetzt, ist jedoch äußerst problematisch. Denn die Entscheidungsmacht fällt einer kleinen Gruppe von Menschen über Gesetze zu. Der Berichterstatter gewinnt in seiner Rolle als Chefunterhändler noch mehr an Bedeutung. Oft liegt es nur noch in der Hand des federführenden Ausschusses, das Mandat für die Verhandlungen zu erteilen, und sowohl Plenum als auch Ministerrat verlieren ihren Einfluss. Diese Folgen zeigten sich zuletzt beim Votum zur Urheberrechtsreform, selbst wenn der Ausgang im Plenum sowie im Rat in diesem konkreten Fall eher knapp war.
Straßburg
Seinen Sitz hat das Europaparlament in Straßburg. Dort müssen gemäß dem Vertrag von Lissabon mindestens zwölf Plenarsitzungen im Jahr stattfinden. Den Großteil der Zeit tagen die Fraktionen und Ausschüsse jedoch in Brüssel. Das Hin-und-her-Fahren der Abgeordneten zwischen Brüssel und Straßburg ist mit hohen Kosten verbunden. Bisherige Versuche Brüssel als einzigen Sitz des Parlamentes festzulegen, sind jedoch gescheitert, denn Frankreichs Widerstand verhindert die dafür notwendige Änderung des EU-Vertrags.
Von Selina Diel, stud. Jur